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„Wir müssen auch in Europa mutiger werden“ (Teil 2)

12. Januar 2022
Düsseldorf

Geht Europa das Magnesium aus? Und wer ist schuld an der aktuellen Krise? Werkstoff-Experte Christoph Schendera spricht im Interview über die zögerliche europäische Politik, das beeindruckend stringente Vorgehen Chinas und über mögliche Alternativen, um wieder eine europäische Primärproduktion zu etablieren. Teil 2 des Interviews.

Lesen Sie hier den 1. Teil des Interviews

 

ALUMINIUM: Herr Schendera, warum hat Europa nicht selbst alternative Herstellungsverfahren für Magnesium entwickelt?

Schendera: Aber das wurde ja versucht! Wir haben damals bei Hydro in Porsgrunn an einem Primärmagnesium-Prozess namens „SilMag“ gearbeitet, wo wir Olivin komplett in seine Bestandteile Eisen, Silica sowie Magnesium zerlegen wollten. Ein Patent wurde 2004 eingereicht, wir hatten Investoren gewonnen, die Pilotanlage in Norwegen lief bereits.

In Deutschland war ein weiteres Projekt zur Gewinnung von Magnesium aus Filteraschen der Braunkohlekraftwerke am Niederrhein, betrieben durch RWE Power, angedacht. Mit der australischen Latrobe Magnesium wurde im Juni 2016 ein „Memorandum of Understanding“ über die Entwicklung einer Anlage zur Produktion von 30.000 Tonnen Magnesium pro Jahr aus den niederrheinischen Kraftwerksaschen unterzeichnet. Seit Anfang der 2000er-Jahre gab es international etliche Bestrebungen, Primärproduktionen außerhalb Chinas aufzubauen.

 

Und wieso sind alle diese Projekte über die Jahre gescheitert?

Schendera: China hat wirklich sehr geschickt mit den Preisen jongliert. Unter dem Vorwand der Erfüllung von Umweltauflagen beziehungsweise der Luftreinhaltung kurz vor der Sommerolympiade 2008 hat China die Rohstoffe verknappt. Gleiches gilt derzeit im Vorfeld der Winterolympiade 2022. Und die jährlich im Winter vorherrschenden Energieengpässe führen zu einer weiteren Teilabschaltung der energieintensiven Fertigungsbetriebe und damit zu einer weiteren Rohstoffverknappung.

Diese Knappheit sorgt für entsprechend saftige Preise. Im Frühjahr 2021 kostete die Tonne Magnesium geringfügig mehr als 2.000 Dollar. Nach Bekanntgabe der Produktionskürzungen im September 2021 schnellte der Magnesiumpreis auf deutlich über 10.000 Dollar je Tonne in die Höhe.

Preisniveaus um die 2.500 bis 3.000 Dollar rechnen sich auch für die „neuen Projekte“ außerhalb Chinas, die bei einem Niedrigpreis von um die 2.000 Dollar pro Tonne niemals wirtschaftlich wären. Also warteten die Chinesen ab, wie sich die Projektideen in aller Welt entwickeln, um dann auf ihre alten Preisniveaus von 2.000 Dollar zurückzukehren – und damit verschwanden die „neuen Projekte“ meist wieder der Schublade.

 

Wieso kann das China, und Europa kann es nicht?

Schendera: Man kann es natürlich auf die Tatsache schieben, dass in China Themen wie Lohnkosten, Umweltauflagen oder Datenschutz anders gehandhabt werden als in Europa. Auch lässt sich Magnesium wirtschaftlicher bei Strompreisen von 0,08 Cent produzieren – in Deutschland kostet die kWh für Privathaushalte 32 Cent und ist damit 40-mal teurer als in Fernost. Gleiches gilt für Gewerbe- und Industriekunden – auch hier war Deutschland im Jahr 2021 in Europa führend – mit 12 Cent/kWh ist der Strompreis in Deutschland damit fast doppelt so hoch wie in anderen Industrieländern wie etwa Frankreich, wo die kWh gerade mal 6,9 Cent/kWh kostet. Aber ich denke, es ist auch eine Frage der Mentalität.

 

 

 

 

 

 

 

Christoph Schendera ist Geschäftsführer der Europäischen Forschungsgemeinschaft Magnesium e.V. (EFM) in Aalen. Der studierte Maschinenbau-Diplomingenieur / Werkstoffwissenschaftler war unter anderem für das Deutsche Zentrum für Luft- & Raumfahrt, die Boeing Company in Seattle, das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik und Hydro Magnesium tätig und ist Gründer und Eigentümer der MagXpert Consulting in Düsseldorf.

Inwiefern?

Schendera: In China forschen täglich Tausende von Studenten zielgerichtet an der Weiterentwicklung des leichtesten metallischen Werkstoffs – hier in Deutschland vergleichen hoch bezahlte Professoren lieber 80 Jahre alte mit 60 Jahre alten Magnesiumlegierungen …

In mehreren deutschen Forschungsvorhaben hat man zusammen mit den Stahlherstellern Salzgitter und Thyssen deutlich mehr als 70 Millionen Euro für eine vermeintliche Magnesium-Blechentwicklung ausgegeben, um am Ende die Stahlproduzenten zeigen zu lassen, dass Stahlbleche die bessere Alternative sind.

Die Chinesen hingegen gehen äußerst proaktiv – ich möchte fast sagen: naiv – an gewisse Themen heran. Sie trauen sich einfach mehr, sie probieren vieles aus. In China wird, überspitzt formuliert, alles, was sich bewegt, aus Magnesium gefertigt. Heute bewegt ein chinesischer Fensterputzer mit seinem Fahrrad und seiner Leiter mehr Magnesium als der Fahrer modernster europäischer Automobile.

„In China forschen täglich Tausende von Studenten zielgerichtet an der Weiterentwicklung des leichtesten metallischen Werkstoffs – hier in Deutschland vergleichen hoch bezahlte Professoren lieber 80 Jahre alte mit 60 Jahre alten Magnesiumlegierungen …"

Sie sagen, Magnesium und Aluminium könnten einander gut ergänzen. Geben Sie mir ein Beispiel?

Schendera: Denken Sie etwa an Autos im hochpreisigen Segment: Deren Karosserie besteht überwiegend aus Aluminium. Da aber die Achslastverteilung wichtig ist, wird der hintere Teil der Karosserie oftmals aus Stahl gebaut, um die Masse des Motors auszugleichen. Würde man den Vorderwagen aus Magnesium konstruieren, könnte man für den Hinterwagen auch Aluminium einsetzen.

Man könnte also hochfeste Stähle durch Aluminium und durch Magnesium substituieren. Auch wird Magnesium im Bereich der Elektromobilität eine wichtige Rolle spielen, da es elektromagnetisch abschirmt und High-Voltage-Gehäuse sehr gut aus Magnesium hergestellt werden könnten.

 

Wie kommen wir aus der aktuellen Lage wieder heraus?

Schendera: Kurz- bis mittelfristig bin ich nicht sonderlich optimistisch. Wir müssen vor allem die Energiepreise wieder auf ein normales Niveau senken – sonst werden weitere Industriezweige, etwa Gießereien, vor massive Probleme gestellt und zwangsläufig aus Deutschland abwandern. Ich denke, wir müssen auch in Europa mutiger werden, uns mehr zutrauen.

 

Zum Beispiel?

Schendera: Warum beschäftigen wir uns etwa nicht mit der Gewinnung von Magnesium aus Meerwasser mittels Elektrolyse? Diese Technik ist ja nicht neu. In einem Kubikmeter Meerwasser stecken rund 3,2 Prozent Salze, und von diesen 32 Kilogramm Salz sind 1,3 Kilogramm Magnesium. Weltweit stehen Tausende von Entsalzungsanlagen, aber die Sole wird einfach ins Meer zurückgekippt. Prinzipiell könnte man die auf Helgoland installierte Windkraftanlage zur Herstellung von Primärmagnesium anstatt von Wasserstoff nutzen. China hat übrigens bereits signalisiert, sich diese Technologie mal ansehen zu wollen.

 

Wie Sie sagen: Derartiges hilft nicht kurzfristig.

Schendera: Die globale Abhängigkeit von chinesischen Exporten wird bestehen bleiben. Mit der Türkei und dem Iran traten 2016/2017 neue Player in den Markt ein, die jedoch beide mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen hatten und sogar zwischenzeitlich ihre Produktion wieder einstellen mussten.

Die einzigen Projekte, die es ansonsten noch über Machbarkeitsstudien hinaus geschafft haben, waren vier bis fünf in Kanada (Alliance Magnesium, MagOne), Australien (Latrobe), USA (Big Blue Technologies) sowie Rumänien (Verde Magnesium).  Diese haben den US-amerikanischen Markt im Blick. Der Projektstart des „Verde Magnesium“-Werks in Rumänien ist für 2025 vorgesehen, weshalb keine kurz- bis mittelfristige Entlastung der Risiken für den europäischen Markt zu erwarten ist.

 

Was erwarten Sie stattdessen?

Schendera: Ich befürchte eher, dass es uns bei den weiter steigenden Energiepreisen nicht gelingen wird, eine deutsche beziehungsweise europäische Primärproduktion für Magnesium aufzubauen. Ich denke vielmehr, dass wir, wie zuvor erwähnt, energieintensive Unternehmen dazu bewegen werden, Deutschland zu verlassen.

Ich sehe eigentlich nur den Weg, sich diplomatisch mit China zu einigen.

 

Das Gespräch führte Bernhard Fragner.