„Wir sind die Sonnenaufgangs-Industrie“
Gerd Götz verlässt nach rund zehn Jahren die Spitze von European Aluminium. Im Interview spricht er über die massiven Veränderungen, die er erlebt hat, über die Meilensteine, die erreicht wurden – und über die wichtige Rolle der Sprache.
ALUMINIUM: Herr Götz, Sie geben nach fast einem Jahrzehnt das Amt als Director General von European Aluminium ab. Sind Sie wehmütig?
Gerd Götz: Nein, ich bin damit sehr im Einklang. Ich habe das Privileg, dass mir alle Phasen meines Berufslebens Spaß gemacht haben, sie alle haben mich erfüllt und ausgefüllt. Aber ich denke, nach fast zehn Jahren ist es auch gut, wenn ein Wechsel stattfindet. Hinzu kommt: Ich habe allen Grund zu glauben, dass mein Nachfolger das ausgezeichnet machen wird. Und dass er mindestens genauso viel Spaß daran haben wird.
Was für eine Tätigkeit wartet denn auf Paul Voss? Ist das Lobbyismus?
Götz: Diesen Begriff möchte ich eher nicht verwenden – wir wissen, wie sehr er in Misskredit geraten ist. Vor allem aber geht die Aufgabe weit darüber hinaus. Wir leben in einer Welt, in der vor allem gesendet wird. Das Beobachten und das Zuhören haben viele verlernt. Bei einer solchen Aufgabe ist das aber entscheidend. Es geht darum wahrzunehmen, welche Spieler in welcher Situation wie agieren. Es geht darum zu spüren, dass Unternehmen, Kunden oder Lieferanten anderen Mechanismen unterliegen als etwa Politiker oder Lobbyisten. Ich denke, meine erste und wichtigste Aufgabe war, die Fläche für die Mitglieder des Verbandes zu sondieren: um die Lizenz zum Operieren zu wahren und die Lizenz zum Wachsen zu schaffen.
Es geht also vor allem um Empathie?
Götz: Unternehmen unterschiedlichster Größe in ihrer Strategie zu verstehen, ist eine zentrale Voraussetzung, um innerhalb eines Industriesektors Akzeptanz zu erhalten. Die Arbeit kann nur auf Vertrauen beruhen – und das ist nicht zwingend von Anfang an da, das muss erarbeitet werden.
Gerd Götz ist seit 2013 Generaldirektor von European Aluminium. Er hatte verschiedene leitende Funktionen in den Bereichen Public Affairs, Unternehmenskommunikation und Markenmanagement in Berlin, Hamburg, Brüssel und Amsterdam inne. Zuletzt war er Vice President und Global Head of Public Affairs bei Royal Philips. Gerd Götz studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in Berlin und Paris-Dauphine und promovierte an der Freien Universität Berlin.
Wie würden Sie denn die Veränderung der Branche in diesen zehn Jahren beschreiben?
Götz: Die Frage kann ich nur in einem größeren Zusammenhang beantworten. Vor zehn Jahren war ein Brexit undenkbar, „Pandemie“ haben wir mit dem Mittelalter assoziiert, „Kreislaufwirtschaft“ war ein weitgehend unbekannter Begriff, und von chinesischen Überkapazitäten war keine Rede. Diese zehn Jahre haben brachiale Verwerfungen gebracht – gesellschaftlich und geopolitisch. All das hat die Industrie stark verändert. Was sich auch deutlich in der Kommunikation zeigt.
Wie meinen Sie das?
Götz: 2012 – als ich bereits bei European Aluminium unterschrieben hatte, ohne dass es bereits bekanntgegeben wurde – war ich als interessierter Besucher auf der ALUMINIUM in Düsseldorf. Ich war in den Jahren davor auf zahlreichen Consumer-Messen aktiv und tief überrascht, wie weit die Industrie in ihrer Selbstdarstellung zurücklag. Das hat sich dramatisch verändert: Die Branche erzählt heute nicht nur sich selbst, welch großartiges Material sie herstellt, sie trägt das auch nach außen und sucht den Dialog mit jenen, die anders denken als sie selbst. Das ist für mich im Grunde die wichtigste Veränderung.
Aber wohl nicht die einzige Veränderung, die Sie in diesen Jahren begleiten konnten. Was würden Sie denn da nennen?
Götz: Von Marie Curie ist das Zitat überliefert: ‚Man merkt nie, was getan wurde. Man sieht immer nur, was noch getan werden muss.‘ Sie mag das kritisch gemeint haben, aber ich finde, das ist kein schlechter Zugang: Wir können uns zufrieden zurücklehnen, oder wir sehen, was noch getan werden kann.
Ein bisschen zufrieden darf man manchmal aber doch sein?
Götz: Natürlich ist uns einiges gelungen. Mit der Sustainability Roadmap Towards 2025 waren wir in Brüssel mit Sicherheit Vorreiter. Dies war ein wichtiger Bestandteil der Positionierung, auch, weil wir sehr konkrete Ziele gesetzt haben und das regelmäßig messen und transparent machen. Auch die Integration des vormaligen Aluminium-Recyclingverbandes in European Aluminium war wichtig für die Selbstfindung und Positionierung als nachhaltige Branche. Und auf globaler Ebene: der Aluminium Summit in Montreal 2018 im Vorfeld des G7-Treffens. Aber wie gesagt: Viel wichtiger ist, was vor uns liegt.
„Die Branche erzählt heute nicht nur sich selbst, welch großartiges Material sie herstellt, sie trägt das auch nach außen und sucht den Dialog mit jenen, die anders denken als sie selbst."
Und das ist wohl eine Welt der verminderten Sicherheiten?
Götz: Ja, die globale Wettbewerbssituation und die Struktur der Unternehmen haben sich in diesen Jahren massiv verändert. Wir erleben Überkapazitäten, Druck auf die Preise und Regulierungsdruck in Europa. Wenn die anderen Wettbewerber unter anderen Bedingungen und teilweise auch subventioniert agieren können, dann muss man natürlich viel überdenken und viel anpacken – auch im politischen Bereich. Auch das ist eine wichtige Aufgabe im Verband: Man muss mit der Politik sprechen, um klarzumachen, wie bedeutsam diese Industrie ist.
Es geht nicht darum, Monopole zu schaffen, es geht um strategische Autonomie, darum, die Abhängigkeit von anderen Regionen – die dann auch politisch genutzt werden kann – zu mindern. Magnesium und Erdgas sind hervorragende Beispiele, wie wir Europäer in Abhängigkeit geraten sind. Und die Politik muss hier über eine Legislaturperiode hinausdenken – welche Industrien brauchen wir in Europa? Denn machen wir uns nichts vor: Wenn wir in Europa einen Primärproduzenten verlieren, dann ist der für immer verloren. Die Politik muss klar definieren: Wollen wir in Europa produzieren oder nicht? Und wenn die Antwort nein ist, dann sagt es bitte laut!
Wie hat diese gestiegene Volatilität denn das Agieren des Verbandes beeinflusst?
Götz: Den Mitgliedern ist immer klarer geworden, dass es um den Aufbau einer längerfristigen Perspektive gehen muss. Und dass sich der Verband immer wieder selbst überprüfen muss – daher sind ja die Committees so wichtig. Die Sustainability Roadmap war diesbezüglich ein entscheidender Schritt. Er hat gezeigt, dass es nur mit gegenseitigem Vertrauen geht. Auch hier war in meinen Augen die Sprache wieder ein wichtiger Aspekt.
Sie meinen die Umbenennung des Verbandes?
Götz: Ja. Alle haben damals von ‚EAA‘ gesprochen, und das wollte ich unbedingt ändern. Das mag eine Kleinigkeit sein, aber ich halte sie für wichtig. Unsere Repositionierung wollte das Aluminium strahlen lassen. Keine Abkürzung mehr! In keinem Vertrag, nirgends. Wir sprechen für Aluminium in Europa, Produktion in Europa, Arbeitsplätze in Europa – das ist es, was uns verbindet. Und das muss sich auch im Namen zeigen. Diese Fokussierung hat uns sehr geholfen. Sie hat uns erlaubt, handelspolitische Themen anzusprechen und auch Vergleiche mit anderen Regionen anzustellen. Es hilft auch, wenn man sich um Forschungsprojekte bemüht – mit unserem Innovation Hub haben wir eine wirklich atemberaubende Entwicklung genommen. Wir haben es geschafft, dass unsere Industrie kollaborative Projekte und auch solche mit Partnern außerhalb unserer Industrie durchführt.
Gibt es Punkte, an denen Sie gescheitert sind?
Götz: In der Rückschau findet man natürlich einiges, das nicht gelungen ist. Aber Scheitern würde ja bedeuten, es nicht weiter zu verfolgen. Manchmal erreichen wir Etappenziele nicht und müssen ein Thema parken. Gegen die Wand gefahren haben wir nichts.
Was leider immer wieder passiert: dass die weniger spektakulären Dinge übersehen werden – auch von mir. Wenn etwa eine Toleranzschwelle für eine Beimischung in einer Legierung auf einem bestimmten Limit gehalten werden kann, dann ist das in meiner Sichtweise ein spektakulärer Erfolg. Weil verhindert wurde, dass eine ganze Gruppe von Unternehmen nicht mehr produzieren kann. Die stillen Helden nicht immer wahrgenommen zu haben, ist eher die Antwort auf Ihre Frage.
Aluminium wird als Material der Zukunft positioniert. Spricht sich da die Branche selbst groß?
Götz: Nein, Aluminium spielt in allen relevanten Themenfeldern eine Rolle bei der Lösung von Problemen. Ob es um Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Recyclingfähigkeit oder Leichtbau geht: Überall kann Aluminium punkten. Und das behaupten wir nicht einfach, wir können es fundiert nachweisen. Wir sind die Sonnenaufgangs-Industrie, und das können wir gar nicht stark genug kommunizieren. Daher ist es ja auch so wichtig, dass Messen oder Kongresse auch für die Kommunikation mit den relevanten Stakeholdern genutzt werden. Wir müssen es immer und immer wieder sagen und erklären.
Werden Sie selbst der Branche in irgendeiner Form erhalten bleiben?
Götz: Aluminium war immer Teil meines Lebens – auch, als ich es noch gar nicht wusste. Und es wird ein Teil meines Lebens bleiben. Ich habe eine Affinität zu Aluminium entwickelt, die als emotionale Bindung Bestand haben wird. Es mag schon sein, dass ich aufgrund meiner Erfahrung auch künftig noch darauf angesprochen werde. Ich mache mir jedenfalls keine Sorgen, nicht beschäftigt zu sein. Nur eben auf kleineren Ebenen und auf eine selbstlosere Weise.
Das Gespräch führte Bernhard Fragner.