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Energiekrise: “Wir stecken da alle zusammen drin!“

11. Oktober 2023*
Düsseldorf

Im Interview mit ALUMINIUM erläutert Roxana Caliminte, Deputy Secretary General bei Gas Infrastructure Europe (GIE), die Vision von GIE sowie ihre Rolle und ihren Beitrag zum Energiesektor und zu den Klimazielen – und was nötig ist, um ein solides Fundament für ein innovatives Energiesystem zu schaffen. Ein System, das die europäischen Bürger und Unternehmen mit sauberer, sicherer, effizienter und nachhaltiger Energie versorgt und auch grüne und kohlenstoffarme Gase einbezieht. Die Energiekrise ist für die gesamte Branche von entscheidender Bedeutung, doch gibt es keine Einheitslösung – die Krise erfordert Koordination, Solidarität und maßgeschneiderte Ansätze.

 

Roxana Caliminte, Deputy Secretary General of Gas Infrastructure Europe (GIE)

Das Wichtigste ist die gemeinsame Beschleunigung der Energiewende, die Modernisierung unseres Energiesystems und die Förderung der Energieunabhängigkeit. Wir stecken da alle zusammen drin!

Was sind die Hauptziele und Visionen von GIE?

Unsere Vision ist die Gasinfrastruktur bis 2050 als das Rückgrat des neuen innovativen Energiesystems zu etablieren. Wir sind dafür da, die sauberste, sicherste, effizienteste und nachhaltigste Energieversorgung für die europäischen Bürger und Unternehmen zu liefern. Als GIE werden wir weiterhin Antworten auf die Frage, „wie" und „wann" dies erreicht wird, geben. Wir begrüßen die neuen Stakeholder – die Wertschöpfungsketten verändern sich und wachsen. Wir sind die etablierten Gasproduzenten – wir sind Innovatoren für grüne und kohlenstoffarme Gase und heißen alle Partner an Bord willkommen.

Wie sehen Sie GIE als die Stimme der Gasinfrastrukturbetreiber in Europa?

Unsere Mitglieder betreiben Pipelines, unterirdische Gasspeicher und LNG-Terminals in Europa.  Heute werden von uns 4.000TWh transportiert, 1.100TWh gespeichert und fast 3.000TWh importiert. Dies entspricht 25 % des Primärenergieverbrauchs in der EU. Kurz gesagt: Wir tragen dazu bei, die Energie zu den Menschen zu bringen, die ihnen einen sicheren, berechenbaren und erschwinglichen Lebensstil ermöglichen, wobei Erdgas das Fundament bildet. Mit Blick in die Zukunft sieht der Plan vor, die Teile der Wirtschaft, die nicht elektrifiziert werden können, zu dekarbonisieren. Die wachsende Nachfrage nach erneuerbaren und kohlenstoffarmen Gasen erfordert also den Import, den Transport, die Lagerung und den Export großer Mengen an Gasen in verschiedenen Formen – Binnen und außerhalb Europas. Wir entscheiden nicht über die "Farbe" des Gases, sondern wir ermöglichen den Transport-, die Lagerungs- und die Importmöglichkeit. Wir sind hier, um Leistungen für die Verbraucher zu erbringen.

Welchen Beitrag kann GIE leisten, um die Klimaziele zu erreichen?

Zusammenarbeit, Vielfalt, Integration und Nachhaltigkeit werden die umweltfreundliche Energiewelt in Europa prägen. GIE ist gewillt, mit seinen zukunftsorientierten Lösungen die Energiewende in Europa zu unterstützen. Wie das geht? Durch Zusammenarbeit zwischen Sektoren, Regionen, Generationen und Geschlechtern. Durch die Vielfalt der Energieträger, Infrastrukturen und Arbeitskräfte. Durch die Einbindung aller Talente und sauberen Energieträger. Nachhaltigkeit von verschiedenen und erschwinglichen Lösungen für die Bürger und Unternehmen der EU. Das bedeutet, dass wir niemanden bei unserer Vision zurücklassen, die Autonomie der EU mit einer Mischung aus lokaler Energieerzeugung, einer großen Vielfalt an Energieträgern, -herkünften und -routen und einer soliden Marktsteuerung für Importe zu stärken.

Welche sind die neuesten technologischen Entwicklungen und Innovationen im Sektor für die Erreichung der Klimaziele?

Wir engagieren uns für die Umsetzung der REPower-Ziele der EU, nach denen bis 2030 10 Mio. Tonnen Wasserstoff in der EU produziert und weitere 10 Mio. Tonnen importiert werden sollen.

Erste Projekte entstehen bereits: In Österreich wurde der erste reine Wasserstoffspeicher der Welt in einem porösen Speicher eingeweiht. Zusätzlich sind in der EU mehr als 40 Projekte in Planung.

Darüber hinaus haben Netzbetreiber bereits 300 Projekte zur Umwandlung von Gaspipelines in Wasserstoffpipelines gestartet. In den Niederlanden, Deutschland und Frankreich wurde dies bereits erfolgreich in großem Maßstab durchgeführt und zeigt, wie die zukünftigen industriellen Wasserstoffkorridore aussehen können. Diese Umrüstung ist eine kosteneffiziente Lösung, da sie etwa dreimal so wenig kostet wie der Bau einer neuen Pipeline.

Je nachdem, welche Technologien gewählt werden, um den globalen Wasserstoffhandel in Zukunft zu gewährleisten, werden LNG-Terminals der Zutritt nach Europa für Wasserstoffderivate wie synthetisches Methan, Ammoniak, LOHC oder möglicherweise Flüssigwasserstoff sein. Hierfür sind bereits 20 Projekte in Arbeit.

Diese Projekte sind alle auf der Website der European Hydrogen Infrastructure Map einsehbar.

Wir haben uns außerdem entschlossen, bis 2030 35 Mrd. Kubikmeter Gas überall dorthin zu transportieren, wo es erforderlich ist – ein weiteres Ziel von REPower EU. Schon jetzt sind einige GIE-Mitglieder in Bezug auf Biomethan Vorreiter. In Dänemark beispielsweise entfallen 40 % des jährlichen Gasverbrauchs auf Biomethan, und das Land strebt bis 2030 einen Biomethananteil von 100 % an.

Was ist Ihre Sicht auf die Energiekrise? Was muss passieren, was müssen wir tun, um die Krise zu überwinden? 

Koordinierung, Solidarität und Transparenz sind entscheidend. Durch die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten haben wir die Krise des letzten Winters überwunden. Mit der Unterstützung von politischen Entscheidungsträgern, Energieakteuren, Ingenieuren, Wirtschaftswissenschaftlern und Verbrauchern.

In diesem Winter werden wir das fortsetzen, was wir im letzten Winter erreicht haben: die Umleitung von Hunderten von Gigawatt von den traditionellen Import- und Transportrouten, die Auffüllung der EU-Gasvorräte mit voller Kapazität, die Diversifizierung der Gaslieferungen durch neue LNG-Regas-Kapazitäten an Orte, die den gesamten EU-Markt bedienen können, die Fertigstellung von Verbindungsleitungen und die Erhöhung der Markttransparenz mit ALSI und AGSI.

Wenn es um die Krisenbewältigung durch Dekarbonisierung geht:

  1. Es gibt keine Einheitslösung für alle Länder. Dänemark zum Beispiel hat bei den grünen Gasen schnell gehandelt. Andere wie Deutschland und Polen, die beschlossen haben, aus der Kohle auszusteigen, benötigen einige Jahrzehnte lang zusätzliches Erdgas, bevor grüne Gase die Führung übernehmen können. Parallel dazu haben Deutschland und Polen ihre Ziele für grüne Gase höhergesteckt. Diese Maßnahmen bedeuten die größte Verringerung der Kohlendioxidemissionen bei weitem!
  2. Auch die Gesetzgebung sollte stabil und vorhersehbar sein, da wir diese Gewissheit benötigen. Doch unsere Mitglieder sind bereit und engagiert, in unsere Infrastruktur zu investieren, um sie für die Energiewende in der EU bereit zu machen.
  3. Die Konsumenten sind das Herz der Gesellschaft, die wissen müssen, dass die Energie, die sie verbrauchen, umweltfreundlich ist. Die Gasinfrastrukturbetreiber werden das Gas weiterhin über die Grenzen hinweg transportieren, und ein robustes System von Herkunftsnachweisen wird es den Verbrauchern ermöglichen, die Herkunft ihrer dekarbonisierten und erneuerbaren Energie zurückzuverfolgen.

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Gasinfrastruktur für die Aluminiumindustrie - und umgekehrt, welche Rolle spielt das Aluminium für die Gasinfrastruktur?

Unsere Infrastruktur ist farbenblind. Was auch immer Ihre Branche benötigt, wir werden es entsprechend der Verfügbarkeit von sauberen Gasen auf dem Markt liefern. Aus diesem Grund ist der Aufbau von Partnerschaften mit der Industrie so wichtig. Der Bedarf ist von Region zu Region unterschiedlich, und deshalb arbeiten wir an maßgeschneiderten Lösungen.

Um diese Bedürfnisse besser zu verstehen, haben wir einen Bericht erstellt, der sich auf die verschiedenen Dekarbonisierungspfade der EU-Länder konzentriert. Der Bericht skizziert den Stand der Energiewende in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Sie enthielt eine vergleichende Analyse der national regionalen Energiemärkte und Zahlen zu den wichtigsten Energiemärkten, den aktuellen Emissionen und Zielen, den wichtigsten Herausforderungen und den Strategien der Mitgliedstaaten. Die dritte Ausgabe wird bis Ende des Jahres veröffentlicht.

Außerdem arbeiten wir derzeit an einer Studie, die Möglichkeiten zur Dekarbonisierung der Wirtschaft bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit untersucht. Aber ob es nur durch die einheimische Gasproduktion ausreicht, sind wir uns nicht sicher. Aus diesem Grund arbeiten wir an einer Studie, die den Importbedarf von erneuerbaren und kohlenstoffarmen Gasen, einschließlich Wasserstoff und Wasserstoffträgern, untersuchen wird. Die Ergebnisse werden bis Ende des Jahres vorliegen.

 

Über Roxana & GIE

Roxana, Deputy Secretary General, seit 2017 bei der Gas Infrastructure Europe (GIE) – die Stimme der europäischen Gasinfrastrukturbetreiber, einschließlich Gaspipelines, Speicher und LNG-Terminals. GIE hat 68 Mitgliedsunternehmen aus 25 Ländern. Bevor Roxana zu GIE kam, arbeitete sie für den rumänischen Gastransportbetreiber Transgaz, wo sie für die Beziehungen des Unternehmens zur EU und zu nationalen Regierungen zuständig war. Außerdem war sie im rumänischen Parlament als Beraterin für internationale Beziehungen und Wirtschaftsangelegenheiten tätig. Roxana hat einen Master-Abschluss in Betriebswirtschaft und Deutsch. Sie hat in Deutschland, Belgien und Russland studiert und war Koordinatorin des inzwischen aufgelösten Gasbeirats EU-Russland. Sie ist außerdem Gastdozentin an der Bukarester Akademie für Wirtschaft.

 

 

*aktualisiert am 17. Oktober 2023