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„Wir werden Einblicke in die Zukunft ermöglichen“

3. Mai 2022
Düsseldorf

Wohin entwickelt sich die Additive Fertigung? Und warum ist sie zwangsläufig ein wichtiges Thema im Rahmen der ALUMINIUM? RWTH-Professor Johannes Schleifenbaum im Gespräch.

ALUMINIUM: Herr Schleifenbaum, im Leitbild des Aachen Center for Additive Manufacturing spielen die Themen Digitalisierung, Vernetzung und Nachhaltigkeit eine Rolle. Wie interpretiert das ACAM diese Begriffe?

 

Johannes Schleifenbaum: Um mit der Vernetzung zu beginnen: Das ACAM hat als klassisches Campus Center die Funktion, bestimmte Themen und Forschungs-Schwerpunkte industriell verfügbar zu machen. Wir sind eine Eintrittspforte für die Industrie, die über diese Organisation Zugriff auf verschiedene Forschungsergebnisse erhält. Und zwar in Form einer integrativen, engen Zusammenarbeit. Es geht also darum, Wissen in Industrialisierung zu transformieren und es am Ende in Wertschöpfung zu gießen.

Zur Digitalisierung muss man betonen, dass dieser Prozess kein definiertes Ende hat – auch wenn das manche meinen. Ein wesentlicher Aspekt ist hier in meinen Augen der Umstieg vom zeitgetriebenen zum eventgetriebenen Betrieb: Predictive Maintenance etwa ist die Abkehr von fixen Wartungsintervallen in Richtung datenbasierter Analyse des Maschinenzustandes. Und hier kommt die Additive Fertigung ins Spiel, gewissermaßen als Real Twin der Digitalisierung. Und damit kommen wir zum Aspekt der Nachhaltigkeit.

 

 

Johannes Schleifenbaum ist Inhaber des Lehrstuhls für Digitale Additive Produktion an der RWTH Aachen.

Das ACAM Aachen Center for Additive Manufacturing mit Sitz auf dem RWTH Aachen Campus bündelt Ressourcen und erleichtert der Industrie den Zugang zum Know-how führender Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen im Bereich Additive Manufacturing.

ACAM ist die zentrale Anlaufstelle für Additive Manufacturing, die die gesamte Prozesskette vom Design bis zur Qualitätskontrolle abdeckt und sich auf Themen wie die Automatisierung der Prozesskette, die Entwicklung maßgeschneiderter Materialien, die Steigerung der Produktivität und die Reduzierung der Durchlaufzeiten konzentriert.

Wie sieht diese Brücke aus?

 

Schleifenbaum: Es geht um den volkswirtschaftlichen Netto-Nutzen von Digitalisierung. Wir können uns leisten, Produkte einfach nur zu besitzen, sie aber nicht zu nutzen. Die meisten Güter haben heute Nutzungsgrade im einstelligen Prozentbereich. Es liegt also nahe, die Nutzungseffizienz zu steigern. Ich denke, dass wir an einer Schwelle stehen, an der die Digitalisierung zum ersten Mal tatsächlich echten volkswirtschaftlichen Netto-Nutzen generieren kann: indem wir das Kundenverhalten mit dem Produzentenverhalten synchronisieren. Wir müssen aus einer Push-gesteuerten Überproduktion in eine Demand-gesteuerte Produktion gelangen. Ich sehe die Vision, über individualisierbare, flexible Verfahren die etablierten Verfahren so zu ergänzen, dass wir unsere Ressourcen möglichst wenig verschwenden. Wir haben ganz einfach die Pflicht, hier etwas anzubieten.

 

Additive Fertigung galt lange als Spielwiese für Nerds, hat sich dann im Prototyping etabliert und danach im Bereich der Ersatzteilproduktion. Das ist wohl nicht das Ende der Entwicklung?

 

Schleifenbaum: Nein, bestimmt nicht. Ich denke, echtes Feuer kam im Jahr 2011 in das Thema, als der Economist die Coverstory über eine gedruckte, spielbare Geige brachte. Der Titel lautete: „Manufacturing Technology that will change the World”. Viele schlossen damals, dass wir demnächst alles drucken würden, dass selbst die Drucker einander drucken würden und dass wir wie Captain Picard unseren Earl Grey bald aus dem Replikator bekämen. So wird es natürlich nicht kommen, aber die Story bewirkte Aufmerksamkeit auch von Menschen, die in Business Cases denken.

Gleichzeitig gab es natürlich Gegenwind. Vor allem die Zerspaner haben ja gelernt, dass das Leben mit einer Mittellinie beginnt, mit Symmetrie. Viele Konstrukteure wurden über Jahrzehnte darauf trainiert, in solchen Fertigungssystemen zu denken und zu konstruieren. Und jetzt erzählen Sie denen mal: Was du 30 Jahre lang gemacht hast, das war gut, aber es ist jetzt vorbei.

Vor dieser Herausforderung stehen wir bis heute: Die Fähigkeiten der Technologie finden nicht hinreichend Einfluss in die Möglichkeiten des Designs. Ersatzteile, die selten sind und teuer, werden gedruckt. Aber der eigentliche Kick kommt erst, wenn sich Funktionen in Produkten, die sich typischerweise nicht in einzelnen Bauteilen sondern in Baugruppen widerspiegeln, über den gesamten Lebenszyklus rechnen.

„Ich denke, dass wir an einer Schwelle stehen, an der die Digitalisierung zum ersten Mal tatsächlich echten volkswirtschaftlichen Netto-Nutzen generieren kann."

Die Idee, es gehe um weitreichende Substitution anderer Fertigungstechniken, ist aber wohl überholt?

 

Schleifenbaum: Additive Fertigung kann und wird in vielen Bereichen ergänzend wirken. Wir sehen etwa bereits Brenner-Geometrien, die den Switch von 100 Prozent Erdgas auf 100 Prozent Wasserstoff erlauben, und die sind ganz einfach nicht anders herstellbar. Vieles existiert erst im Ansatz – doch wenn wir heute nicht mit den Ersatzteilen und den einfachen Geometrien beginnen, werden wir von anderen überholt, und dann geraten wir in einen Wettbewerbsnachteil.

 

Sehen Sie die Gefahr, dass die Technologie in der berühmten Gartner-Kurve unten herausrutscht?

 

Schleifenbaum: Man muss hier betonen, dass Additive Fertigung der weithin akzeptierte Sammelbegriff für rund 25 unterschiedliche Technologien ist, die digital und schichtweise bauen. 3D-Druck ist nur eines dieser Verfahren. Und nein, das Tal der Tränen ist längst überwunden, die Technologien sind im produktiven Status. Alleine in Deutschland werden jährlich tausende Hüftimplantate gedruckt, das ist vollkommen akzeptiert. Andere Technologien, etwa der Lebend-Zell-Druck, stehen erst relativ weit am Beginn, doch prinzipiell ist das Thema etabliert.

 

Wie wichtig sind die Forschung an und die Entwicklung von neuen Werkstoffen?

 

Schleifenbaum: Vor ungefähr fünf Jahren wurde mit dem Scandium Alloy eine wichtige Türe aufgestoßen. Mit dieser Legierung ist es gelungen, das Material thermisch und mechanisch zu stabilisieren. Eigenschaften also, die fast schon in Richtung einer Titan-Legierung gehen. Diese Entwicklung hatte einen ähnlichen Effekt wie die Story des Economist: Wir können auch mit Materialien fertigen, die die explizit die Verfahrenskinetik nutzen, um bessere Eigenschaften zu erzielen. Dieser Weg hat gerade erst begonnen. Alle großen Hersteller haben eine Agenda mit zahlreichen Materialien, zum Teil auch Weiterentwicklungen von Bestandsmaterialien. Hier wird noch viel kommen, aber auch hier muss man natürlich die Menschen mitnehmen.

 

Wie sehr kann hier Aluminium generell eine Rolle spielen?

 

Schleifenbaum: Scandium Alloy habe ich bereits angesprochen. Aber es gibt eine Reihe spannender Entwicklungen. Etwa in Richtung der Nutzung der extrem schnellen Erstarrungskinetik, um beispielsweise die Temperaturfestigkeit zu erhöhen. Ich denke, es ist sehr spannend, Systeme zu entwickeln, die expressis verbis Hochtemperatur-geeignet sind und die gute Festigkeit mit guter Restbruchdehnung verbinden.

„Alle großen Hersteller haben eine Agenda mit zahlreichen Materialien, zum Teil auch Weiterentwicklungen von Bestandsmaterialien. Hier wird noch viel kommen, aber auch hier muss man natürlich die Menschen mitnehmen."

Bei der ALUMINIUM im Herbst werden auch die Anwenderindustrien vertreten sein, etwa aus den Bereichen Neue Mobilität, Aerospace oder auch dem Bau- und Konstruktionssektor. Was kann die Verbindung von Aluminium und Additiver Fertigung hier erreichen?

 

Schleifenbaum: Bei den neuen Mobilitätskonzepten zielt natürlich alles in die Richtung, weniger Masse in Bewegung zu bringen, da man so sofort einen energetischen und ressourcentechnischen Nutzen generiert. Hier ist Aerospace wohl eher der Vorreiter als die bodengebundene Mobilität. Im Bereich der Urban Mobility sehen wir uns viele spannende Konzepte an – was sich hier im Einzelnen durchsetzen wird, das wird man sehen.

Der Bausektor ist ein wichtiger Forschungsbereich für uns. Gerade über die Prozesse in der Zementindustrie wird ja relativ viel CO2 ausgestoßen, daher ist die Frage, wie Recycling in der Zukunft aussehen kann, natürlich sehr spannend. Derzeit wird Material je herausgerissen, aufgetrennt und geschreddert – das ist energetisch höchst ungünstig. Interessanter wäre, die Strukturen zu erhalten, und hier ist vor allem die Fassade spannend. Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft ganze Fassadenelemente drucken werden, aber gewisse Standardelemente wie Rohre oder Stabprofile in verschiedenen Längen und Dimensionen könnte man kombinieren und mit Knoten zusammenstecken, löten, schweißen, nieten, was auch immer. Diese Knoten könnten direkt auf der Baustelle gedruckt werden. Dies wäre eine Form der Individualisierung, die den Bestand erhält.

 

Warum kooperiert das ACAM eigentlich mit der ALUMINIUM in Düsseldorf?

 

Schleifenbaum: Ich selbst bin hier gewissermaßen in doppelter Funktion unterwegs. Als Mitarbeiter der RWTH sind wir aufgerufen, den Wohlstand in Europa zu erhalten und zu mehren, und das auf eine möglichst nachhaltige Weise. Innovation und Fortschritt sind also Auftrag meines Handelns. Und da Innovation bekanntlich nicht nur Freunde hat, müssen wir auch kommunizieren. Es ist also eine erklärende Aufgabe, und die kann nicht nur im Wissenschaftsbereich verharren, sie muss auch in die Industrie, in die Volkswirtschaft getragen werden. Sie muss Anwender finden, Anwender begeistern. Dafür eignen sich solche Messen natürlich hervorragend.

Als Mitarbeiter des ACAM sind wir Transporteure von Information, doch wir müssen auch die Probleme, die Fragestellungen kennen, sonst bleiben wir im Elfenbeinturm. Wir finden ja immer wieder Lösungen, für die es gar keine Probleme gibt. Wenn wir aber Feedback erhalten, dann können wir sehr gezielt an Lösungen arbeiten.

 

Was können Besucher der Messe konkret von Ihnen erwarten?

 

Schleifenbaum: Wir werden Einblicke in die Zukunft ermöglichen. Nicht, weil wir schlauer wären als andere. Wir haben jedoch das Privileg, uns mit Themen zu beschäftigen, die typischerweise in der Zukunft passieren. Gleichzeitig sind wir gerne bereit, über konkrete, aktuelle Probleme zu diskutieren. Für manches werden wir Lösungen anbieten können, für manches gemeinsam an Lösungen arbeiten. Gespräche sind immer der erste Anstoß, um wirklich Neues zu beginnen.

Das Gespräch führte Bernhard Fragner.