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Warum die Kreislaufwirtschaft neuer Parameter bedarf

24. September 2021
Düsseldorf

Löst Aluminium alle Verpackungsfragen? Nein, sagt Claudia Bierth, European Sustainability Manager bei Ball Beverage Europe. Was wir dennoch von der Aluminiumdose lernen können. Und warum Design for Recycling so entscheidend ist.

ALUMINIUM: Frau Bierth, beim Thema Recycling steht die Verpackungsbranche stark im Fokus der Öffentlichkeit. Kann sie als Vorbild dienen?

Claudia Bierth: Sie sendet zumindest starke Signale an andere Sektoren, wohin die Reise gehen sollte. Allerdings gibt es hier auch vielerorts eine klare Gesetzgebung, wie gesammelt und mit den Ressourcen nach dem Gebrauch umgegangen wird. Und man muss zugeben: Bei FMCG ist es natürlich einfacher als bei Anwendungen, die für Jahre oder Jahrzehnte in Gebrauch sind.

 

Und die Aluminiumdose? Die steht ja geradezu prototypisch für Recycling.

Bierth: Das ist richtig. Das liegt vor allem an der hervorragenden Recyclingfähigkeit und dem Wert des Materials, das stark nachgefragt wird, auch in Regionen ohne etablierte Sammelsysteme. Hinzu kommen in einigen Ländern Einwegpfand-Systeme, die dazu beigetragen haben, dass die Recyclingquote in Europa bereits bei über 76 Prozent liegt.

 

Wenn man von Kreislaufwirtschaft spricht: Ist es ein Problem, dass aller Augen auf das Recycling gerichtet sind?

Bierth: Nein, das ist natürlich ein Kernpunkt der Kreislaufwirtschaft. Aber klar, es geht um mehr: Wie kann man Produkte über einen Lebenszyklus hinaus so lange wie möglich in der Wirtschaft behalten, sodass der Wert der eingesetzten Materialien auch möglichst erhalten werden kann? Hier spielt das eingesetzte Material eine zentrale Rolle.

 

Aluminium schneidet hier ja sehr gut ab.

Bierth: Als permanentes Material ist Aluminium für die Kreislaufwirtschaft prädestiniert. Denn die Qualität des Materials wird durch das Recycling nicht beeinträchtigt, und die inhärenten Eigenschaften bleiben die gleichen. Eine wichtige Frage ist: Welche Verluste entstehen beim Recycling? Verluste treten bei jedem Material auf, auch Aluminium oxidiert bei der Wiedereinschmelzung. Aber während sich bei Aluminiumdosen die Verluste im niedrigen einstelligen Prozentbereich, liegen die Verluste anderer Materialien im mehrstelligen Bereich. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sind diese Werte entscheidend, immerhin potenzieren sie sich ja pro Durchlauf und beeinflussen stark, wie viel Material in der Wirtschaft erhalten bleiben kann. Vor allem bei Verpackungen spielt auch das Thema Design for Recycling eine wichtige Rolle.

 

 

 

 

 

 

Zur Person

Claudia Bierth ist Europäische Nachhaltigkeitsmanagerin bei Ball Beverage Packaging Europe. Sie ist eine Verfechterin der Kreislaufwirtschaft und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in den Bereichen Nachhaltigkeit, Stakeholder-Engagement, Politik und Kommunikation in Deutschland, Nordamerika und Indien für große multinationale Unternehmen, gemeinnützige Organisationen, KMU und den öffentlichen Sektor. Bei Ball ist sie für europäische Angelegenheiten in Brüssel sowie für Nachhaltigkeit und öffentliche Angelegenheiten in Mitteleuropa zuständig. 

Wie muss dieses Design aussehen?

Bierth: Es sollte die Sortierung nach der Sammlung möglichst vereinfachen, die Sortiertechnologie muss die Materialien im Produkt ja auch erkennen können. Bei Aluminiumgetränkedosen ist das sehr einfach: Hier müssen keine Materialien getrennt werden, und es gibt auch keine Labels, Deckel, Verschlusskappen oder ähnliches. Besonders schwierig wird es bei Verbundverpackungen aus verschiedenen Stoffen, die sich kaum voneinander trennen lassen und daher häufig in der Verbrennung oder gar auf der Deponie landen.

Manchmal erschweren auch Marketing-Entscheidungen die Erkennung durch optische Sortiersysteme. Schwarzer oder opaker Kunststoff etwa wird kaum erkannt und wird dann auch nicht recycelt.

 

Ist das ein Appell, möglichst alles in Aluminium zu verpacken?

Bierth: Nein, es ist ein Appell, neue Parameter für die Kreislaufwirtschaft aufzusetzen – hin zu wirklicher Zirkularität.

 

An welche Parameter denken Sie?

Bierth: In der letzten Zeit wird etwa häufig der hohe Rezyklat-Gehalt von einzelnen Marken bei Kunststoffflaschen betont. Ich meine: Das ist zwar eine wichtige Stellschraube, aber es geht doch um systemische Veränderungen innerhalb der Industrie und nicht nur um Recycled Content bestimmter Einzelprodukte. Dass sich in einer Verpackung Rezyklat befindet, bedeutet nicht, dass sie selbst wieder rezykliert wird. Das ist eine verkürzte Diskussion, die der Endkonsument natürlich leichter versteht – ‚100 Prozent RPET‘, das fühlt sich gut an. Wir brauchen aber einen ganzheitlichen Ansatz.

 

Das bedeutet?

Bierth: Das bedeutet: Alles, was in den Markt gebracht wird, sollte wieder eingesammelt, sortiert und entweder recycelt oder wiederverwendet werden. Und das mit möglichst geringen Verlusten in Qualität und Menge, damit diese Sekundärstoffe dann wieder in Produkten gleicher Wertigkeit zum Einsatz kommen können – und das nicht nur einmal, sondern immer wieder. Ein perfekter Kreislauf sozusagen.

 

Wie zufrieden sind Sie denn mit den Recycling-Raten bei Aluminiumgetränkedosen?

Bierth: Bei der Dose sieht es zwar schon relativ gut aus, zum Beispiel liegt die Recyclingrate in Deutschland bei sagenhaften 99 Prozent. In Brasilien schaffen wir dank des informellen Sektors eine Recyclingrate von 97 Prozent. Aber im Rest von Europa und weltweit müssen auch wir uns noch steigern. Die Recyclingrate ist der größte Hebel für die Senkung des CO2-Footprints der Dose. Im Fall von Aluminium kann man durch Recycling rund 95 Prozent der Energie sparen, die für die Herstellung von Primäraluminium benötigt wird. Deshalb müssen wir möglichst nahe an die 100 Prozent Recyclingquote kommen. Der Unterschied in den Auswirkungen auf den CO2-Abdruck der Dose zwischen Sammelraten von 90 bis 95 Prozent und 95 bis 100 Prozent ist exponentiell. Daher haben wir dieses Jahr mit unserem Verband Metal Packaging Europe eine Roadmap für 100 Prozent Recyclingraten für Aluminiumgetränkedosen bis 2030 vorgestellt.

"Alles, was in den Markt gebracht wird, sollte wieder eingesammelt, sortiert und entweder recycelt oder wiederverwendet werden. Und das mit möglichst geringen Verlusten in Qualität und Menge."

Getränkedosen sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer dünnwandiger geworden. Ist geringere Masse per se gut?

Bierth: Nein. Bei Aluminiumdosen ist Gewichtsreduzierung in der Tat immer noch eine Stellschraube zur Optimierung des CO2-Fußabdrucks – trotz der enormen Erfolge der letzten Jahrzehnte. Aber der Trend zum fortwährenden Lightweighting bei Verpackungen ohne Berücksichtigung der Kreislauffähigkeit hat vielleicht der Klimabilanz geholfen, aber sicher nicht der Kreislaufwirtschaft.

 

Geben Sie mir ein Beispiel?

Bierth: Denken Sie etwa an hochwertiges Nassfutter für Tiere: Da werden immer häufiger Standbeutel, die sogenannten Pouches, aus mehreren Materiallagen statt Dosen eingesetzt, die aber schwer zu recyceln sind. Die Kommission überarbeitet derzeit die Anforderungen an Verpackungen auf dem EU-Markt – und da geht es nicht mehr nur um Gewichtsminimierung, sondern auch um Recyclingfähigkeit.

 

Wünschen Sie sich in diesem Zusammenhang generell stärkere Eingriffe seitens der Politik?

Bierth: Politische Rahmensetzungen sind für die Industrie generell sehr wichtig, da sie Planungssicherheit geben. Für die Klima- und die Kreislaufziele, die wir haben, sind sie besonders wichtig. Allerdings müssen sie auf Basis wissenschaftlicher Evidenz erfolgen und nach sorgfältiger Folgenabschätzung.

 

Im Gefolge der Mikroplastik-Diskussion hat die Kommission etwa den Verkauf von Plastiktrinkhalmen verboten. Brauchen wir mehr davon?

Bierth: Ich glaube nicht, dass Verbote immer das beste Mittel sind. Die Industrie ist sehr gut darin, Lösungen zu entwickeln, die funktionieren und effizient sind – und die auch am Markt ankommen. Was wir brauchen, sind Rahmenvorgaben, die die Richtung vorgeben, den Unternehmen aber genug Raum für Innovation lassen. Am schlimmsten sind in meinen Augen Regelungen, die sich immer wieder ändern – denn dies ist meist ein Zeichen dafür, dass man einen Rahmen zu eng gesteckt hat und Folgen und Wechselwirkungen nicht genügend geprüft hat.

 

Das Gespräch führte Bernhard Fragner.

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