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Kreislaufwirtschaft: Warum es dafür ein neues Silicon Valley braucht

16. August 2021
Düsseldorf

Wie kann es gelingen, der Kreislaufwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen? In der Metropolregion Rhein-Ruhr entsteht derzeit ein Accelerator nach dem Vorbild des Silicon Valley – das Circular Valley. Initiator Carsten Gerhardt hat mit uns über seine Pläne gesprochen.

                                                                                               

Die Zentrale von Circular Valley – Sitz der Circular Valley Stiftung – hat einen geradezu ikonischen Standort. Der unter Denkmalschutz stehende, knapp 70 Meter hohe Gaskessel im Wuppertaler Stadtteil Barmen steht exakt an jenem Ort, an dem Friedrich Bayer 1863 den späteren Weltkonzern gründete. Die frühe Industrialisierung fand hier einen ihrer Kulminationspunkte in Deutschland und machte Barmen reich – während ein gewisser Friedrich Engels aus dem Erleben der Schattenseiten seine eigenen Schlüsse zog.

Das Industriedenkmal ist mittlerweile ein hochmodernes Veranstaltungszentrum, inklusive der größten 360-Grad-Leinwand Europas. „Es ist ein unglaublich authentischer Ort“, sagt Carsten Gerhardt, „und deshalb haben wir genau hier den ersten Stein ins Wasser geworfen.“

 

 

ALUMINIUM: Herr Gerhardt, mit dem Namen ‚Circular Valley‘ wecken Sie eine recht große Assoziation.

Carsten Gerhardt: Natürlich, hier soll ja auch Großes seinen Anfang nehmen. Wir wollen einen Ort schaffen, der für Circular Economy so bedeutsam wird wie das Silicon Valley für Digitalisierung. Ein Ort, an dem man sich konzertiert darum kümmert, Lösungen zu entwickeln und in den Markt zu tragen.

 

Warum tun Sie das ausgerechnet hier?

Gerhardt: Weil es ganz einfach keinen besseren Ort dafür gibt als die Metropolregion Rhein-Ruhr. Nur hier treffen fünf entscheidende Faktoren in dieser Form zusammen: Erstens gibt es hier eine Unzahl an Unternehmen, die Bedarf an Kreislaufwirtschaft haben, darunter mehr als 300 Weltmarktführer. Zweitens haben auch einige der bedeutendsten Unternehmen der Kreislaufwirtschaft hier ihren Sitz. Und drittens gibt es in dieser Region ein einzigartiges wissenschaftliches Umfeld, eine enorme Dichte an Universitäten und Forschungseinrichtungen, die sich mit dem Thema der Zirkularität beschäftigen. Hinzu kommen zwei kulturelle Faktoren.

 

Sie sprechen die Multikulturalität an?

Gerhardt: Genau, diese Region ist ausgesprochen weltoffen, sie war immer eine Einwanderungsregion. Und sie ist zudem der Ort der ersten und der zweiten industriellen Revolution auf dem europäischen Kontinent. Warum also soll nicht auch die nächste, die fünfte industrielle Revolution in diesem Umfeld ihr Zentrum finden? In meinen Augen sind die fünf Aspekte der Kern unseres Narrativs: Hier muss im Grunde nichts neu erfunden werden. Sondern nur, was schon existiert, geschickt zusammengeführt werden.

 

Sie haben Circular Valley als gemeinnützige Stiftung gegründet. Welche Rolle soll sie denn in diesem Fünfeck spielen?

Gerhardt: Die Rolle als Netzwerkknoten. Hier sollen Wissen und Fähigkeiten geteilt werden, Anbieter und Nachfrager von Wissen aufeinandertreffen.

 

Und was planen Sie konkret?

Gerhardt: Ein wesentliches Standbein ist die Öffentlichkeitsarbeit, denn wir müssen natürlich auch die Konsumenten erreichen. Ich glaube übrigens, dass das am besten über Kunst funktioniert.

 

Über Kunst?

Gerhardt: Ja, denken Sie etwa an die ‚Trash People‘ des Objektkünstlers H.A. Schult – bessere Öffentlichkeitsarbeit für das Thema Nachhaltigkeit habe ich kaum jemals gesehen.

 

Und der Kern Ihrer Aktivitäten?

Gerhardt: Im Zentrum unserer Aktivitäten steht das Etablieren eines Accelerators: Ideenreiche Startups aus der ganzen Welt sollen hier mit etablierten Unternehmen in Kontakt kommen können. Ein dritter Punkt liegt noch etwas in der Zukunft: Wenn wir einen solchen Ort etablieren können, dann hat das Circular Valley nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, gemeinsame Handlungsempfehlungen an die Politik auszusprechen.

 

Sie haben auch die Politik selbst an Bord?

Gerhardt: Ja, den Wirtschaftsminister als Schirmherren, den Arbeits- und Sozialminister und die Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen. Thematisch also die „Heilige Dreifaltigkeit“ der Nachhaltigkeit.

 

Circular Valley ist mehr als ein deutsches oder ein europäisches Projekt?

Gerhardt: Es muss ein globales Projekt sein, wir brauchen die Verbindung zur Welt. Unsere Probleme machen ja auch nicht an Grenzen Halt. Wenn wir es richtig machen, kann hier ein Sehnsuchtsort entstehen, an dem sich Menschen aus der ganzen Welt befruchten lassen, um dann mit neuem Wissen und neuen Ideen heimzukehren.

 

Sie werden Circular Valley auch beim ALUMINIUM Business Summit Ende September in Düsseldorf vorstellen. Ein naheliegender Rahmen?

Gerhardt: Absolut, Aluminium ist das Paradebeispiel für einen Werkstoff, der wunderbar im Kreis geführt werden kann. Aluminium ist äußerst hochwertig und schwierig zu gewinnen, weshalb es möglichst lange im Kreislauf verblieben sollte. Ich habe den Eindruck, dass dieses Wissen auch weitgehend die Öffentlichkeit erreicht hat.

 

Die Covid-Pandemie hat die Diskussion um Globalisierung versus Regionalisierung befeuert. Sehen Sie Circular Economy als Treiber in eine Richtung?

Gerhardt: Ich sehe keinen wirklich guten Grund, Waren in der einen, großen Weltfabrik zu erzeugen und dann um den halben Globus zu transportieren. Man muss bedenken, dass der Anteil der reinen Produktionskosten am Gesamtpreis der Produkte in den vergangenen Jahrzehnten drastisch gesunken ist. Ob ein 50-Euro-Hemd für 1,50 oder zwei Euro hergestellt wird, ist in Relation nahezu irrelevant geworden. Wenn hier ein Umdenken einsetzt, können wir auch wieder Beschäftigung zurückholen. Wir müssen aber damit aufhören, genau dort auf den Preis zu drücken, wo letztlich der materielle Fußabdruck entsteht.

 

In den vergangenen Jahrzehnten sind unzählige Initiativen rund um die Ökologisierung still entschlafen. Warum soll es diesmal klappen?

Gerhardt: Ich glaube, dass die Zeit aus mehreren Gründen reif dafür ist. Zum einen existiert ein breites Verständnis dafür, dass wir handeln müssen. Covid hat dieses Bewusstsein verstärkt: Wir haben gesehen, dass wir nicht resilient genug sind, dass das Schädigen von Biodiversität am Ende auf uns zurückschlägt. Zudem verfügen wir nun, anders als noch vor Jahrzehnten, über die notwendigen Technologien. Und drittens gibt es Incentivierung – der Green Deal zum Beispiel umfasst ja nicht nur Verbote, sondern beinhaltet auch jede Menge Incentives.

Unser Planet verfügt über phantastische Technologien, ausreichend freie Arbeitskraft und Geld im Überfluss. Die Voraussetzungen sind in meinen Augen also gegeben.

 

Aber kann es auch schnell genug gehen?

Gerhardt: Wir kennen aus der Historie wunderbare Beispiele dafür, wie sich die Menschen innerhalb erstaunlich kurzer Zeit komplett umstellen konnten. Wenn es wirklich sein muss, wenn alle anpacken, können wir binnen fünf Jahren unsere Wirtschaft ganz entscheidend umstellen.

 

Erleben Sie Carsten Gerhardt beim:

ALUMINIUM Business Summit 2021:
28.­–29. September 2021
Altes Stahlwerk Düsseldorf

Weitere Informationen und Programm 

 

Zur Person

Carsten Gerhardt ist als Partner bei Kearney Deutschland für die Themen Nachhaltigkeit und Circular Economy verantwortlich. Gerhardt studierte Physik, Mathematik und Anglistik in Deutschland, den USA und Kanada und promovierte in theoretischer Festkörperphysik. Neben seiner Tätigkeit als Unternehmensberater ist er auch Initiator der Wuppertalbewegung und des Circular Valley.