• 08. – 10. Oktober 2024
  • Messegelände Düsseldorf

„Aluminium befindet sich im Emissions-Zeitalter“

20. September 2021
Düsseldorf

Der Aluminiumpreis klettert in Richtung 13-Jahres-Hoch, Aluminium-Schrott ist knapp, und die gestörten Lieferketten bleiben ein massives und anhaltendes Problem. ALUMINIUM hat mit Ross Strachan, Senior Analyst bei der CRU Group, über die dramatischen Veränderungen in der Branche gesprochen.

ALUMINIUM: Mr. Strachan, können wir davon ausgehen, dass der Druck zu mehr Nachhaltigkeit die Aluminiumindustrie ebenso nachhaltig verändern wird?

Ross Strachan: Auf jeden Fall! Er wirkt sich bereits jetzt in vielerlei Hinsicht auf die Branche aus, und es wird weitere Veränderungen geben. Am wichtigsten ist der Druck, die Kohlenstoffemissionen zu senken. Aluminium ist ein sehr energieintensiver Industriezweig, und die Bemühungen vieler Länder, die Emissionen aus der Aluminiumverhüttung zu senken, erfordern entweder einen Wechsel der Energiequelle hin zu erneuerbaren Energien oder zur Kernenergie sowie eine vollständige Umstellung der Verhüttungstechnologie. Vor diesem Hintergrund investieren verschiedene Unternehmen erhebliche Mittel in eine potenziell bahnbrechende Technologie der inerten Anoden und in die Erzeugung erneuerbarer Energie. In der Zwischenzeit sind die Deckelung der chinesischen Primäraluminiumkapazitäten und die jüngsten Produktionskürzungen in verschiedenen chinesischen Provinzen in diesem Jahr von entscheidender Bedeutung, um Umweltbedenken zu zerstreuen.

 

Die Preisentwicklung von Primäraluminium in den letzten Monaten ist bekannt – können Sie eine Prognose für die Preise und Kapazitäten in der nahen Zukunft abgeben?

Strachan: Wir glauben, dass wir uns in einer neuen Ära für Aluminium befinden, die wir das Emissions-Zeitalter genannt haben. Dies ist ein entscheidender Aspekt für die Preisentwicklung in diesem Jahr und für unsere Prognose für Preise und Kapazitäten. Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs gehen wir davon aus, dass der LME-Aluminiumpreis im Jahr 2022 durchschnittlich über 2.600 $/t liegen wird, was einem 13-Jahres-Hoch entsprechen würde, und die Risiken für diese Prognose sind eher nach oben gerichtet. Trotz dieser hohen Preise gehen wir davon aus, dass das Kapazitätswachstum im nächsten Jahr auf nur 2,4 Prozent begrenzt sein wird, wobei das Wachstum in China durch eine Kapazitätsobergrenze und eine relativ geringe Anzahl von Projekten in der übrigen Welt eingeschränkt wird.

 

Und wie wird sich Ihrer Meinung nach die Frage der Nachhaltigkeit auf die internationalen Märkte und die Handelsströme auswirken?

Strachan: Eine wichtige Veränderung für die Industrie, die sich aus dem Druck der Umwelt ergibt, ist, dass China zum Nettoimporteur von Primäraluminium geworden ist. Diese Änderung gegenüber der früheren Norm ist ein Grund für die Annahme, dass der SHFE-Preis über dem LME-Preis bleiben muss (selbst nach Bereinigung der Mehrwertsteuerdifferenz), um Importe anzuziehen. Dies wirkt sich auch sehr positiv auf die LME-Preise aus. In der Zwischenzeit wächst auch der Druck der Verbraucher auf einen höheren Anteil an recyceltem und/oder kohlenstoffarmem Metall. Längerfristig könnte die Einführung des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) durch die Europäische Kommission auch dazu führen, dass kohlenstoffarmes Metall nach Europa gezogen und kohlenstoffreiches Aluminium auf andere Märkte ohne Kohlenstoffpreise umgeleitet wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur Person

Ross Strachan ist Senior Analyst, Aluminium bei der CRU Group. Bereits zwischen 2004 und 2009 arbeitete er für CRU, zunächst als Research Analyst für das Aluminiumteam und später als Principal Price Risk Advisor für das Preisrisikomanagement-Team. Anschließend arbeitete er für Capital Economics, Thomson Reuters und GFMS in analytischen Funktionen, die eine Vielzahl von Metallmärkten abdeckten, und hielt Vorträge bei Branchenversammlungen. Ross hat einen Master in Wirtschaftswissenschaften von der Heriot-Watt University.

Wie steht es mit den derzeitigen Unterbrechungen der Lieferkette und den hohen Transportkosten? In welchem Ausmaß ist die Aluminiumindustrie davon betroffen?

Strachan: Dies bereitet der Branche erhebliche Kopfschmerzen. Die Aluminiumindustrie ist stark globalisiert und integriert, und die massiven Verwerfungen wirken sich auf den gesamten Sektor aus.

 

Was sind aus Ihrer Sicht die Folgen?

Strachan: Eine entscheidende Folge ist, dass die Prämien für Barren und insbesondere für einige Halbfertigprodukte und Mehrwertprodukte in Europa und den USA Rekordhöhen erreicht haben. Dies ist sowohl auf die phänomenal hohen Frachtkosten zurückzuführen, die jetzt ein Vielfaches des Niveaus von vor einem Jahr betragen, als auch auf die Verwerfungen, die dazu führen, dass viele Märkte es aufgrund der Ungewissheit für nicht umsetzbar halten, Lieferungen aus Asien zu erhalten.

Die Unterbrechung der Lieferkette wirkt sich auch auf den wichtigen Automobilmarkt aus, da der Mangel an Halbleitern die Produktion in ganz China, Europa und den USA stark beeinträchtigt hat. Glücklicherweise waren die Auswirkungen für den Aluminiumsektor etwas weniger gravierend als für die Automobilproduktion, da die Automobilunternehmen, wo immer möglich, der Einführung von Elektrofahrzeugen und der Produktion von Premiumfahrzeugen Vorrang vor anderen Verbrennungsmotoren eingeräumt haben. Unsere Modellrechnungen zeigen, dass der Aluminiumverbrauch bei Premiumfahrzeugen und Elektroautos in der Regel viel höher ist als bei anderen ICEs.

 

Auf dem ALUMINIUM Business Summit werden Sie über die zunehmende Bedeutung von recyceltem Aluminium sprechen. Sind Ihrer Meinung nach die Kapazitäten zur Verarbeitung von Schrott ausreichend?

Strachan: Derzeit gibt es einige Kapazitätsreserven, aber es werden erhebliche weitere Investitionen erforderlich sein, insbesondere in China. Angesichts der Umweltbelastungen in China wird es immer deutlicher, dass der chinesische Markt eine deutliche Steigerung des Einsatzes von recyceltem Aluminium benötigt, um den Gesamtbedarf an Metall zu decken. Gegenwärtig ist die Kapazität eine Sache, aber die Verfügbarkeit von Schrott ist noch kritischer und war im vergangenen Jahr das größte Hindernis.

 

Was könnte hier die Lösung sein?

Strachan: Angesichts der wachsenden Nachfrage nach diesem Material wird es immer wichtiger, dass die Regierungen mehr Maßnahmen ergreifen, um die Sammlung von Schrott zu fördern oder zu ermöglichen, und dass die Unternehmen in neue Technologien investieren, die ein breiteres Spektrum von Materialien recyceln können. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass das Design von Produkten so entwickelt werden sollte, dass sie leicht recycelt werden können.

"Wir glauben, dass wir uns in einer neuen Ära für Aluminium befinden, die wir das Emissions-Zeitalter genannt haben. Dies ist ein entscheidender Aspekt für die Preisentwicklung in diesem Jahr und für unsere Prognose für Preise und Kapazitäten."

 

Nachhaltigkeit in der Industrie scheint in erster Linie ein europäisches Thema zu sein. Ist dieser Eindruck richtig?

Strachan: In vielerlei Hinsicht steht Europa eindeutig an der Spitze der notwendigen Veränderungen, was angesichts verschiedener wirtschaftlicher, politischer und kultureller Gründe vielleicht nicht überraschend ist. Der Wunsch der Verbraucher nach dringenden Veränderungen ist sicherlich stärker verbreitet als in Asien oder den USA.

Allerdings gibt es auch eine Reihe von Maßnahmen, die weltweit ergriffen werden, um die notwendigen Veränderungen in der Branche zu unterstützen. Wie bereits erwähnt, hat China eine Obergrenze für die Primärkapazitäten eingeführt und schränkt die Produktion noch stärker ein, während es Investitionen in das Recycling und die Umstellung auf mit Wasserkraft betriebenen Schmelzanlagen fördert. In Nordamerika und Russland wird unterdessen in erheblichem Umfang in die Entwicklung der inerten Anodentechnologie investiert, die für eine kohlenstofffreie Lösung in der Branche erforderlich wäre. Und in Brasilien, Argentinien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Australien wird bereits in erneuerbare Energien investiert, um einen Teil des Energiebedarfs zu decken und die Kohlenstoffbilanz zu verbessern.

 

Und wie verhindert man, dass die europäische Industrie hinter Länder zurückfällt, die sich nicht so sehr auf dieses Thema konzentrieren?

Strachan: Ein Versuch, um sicherzustellen, dass die europäische Industrie nicht ins Hintertreffen gerät, ist der Carbon Border Adjustment Mechanism. Dieser sollte theoretisch im Laufe der Zeit dazu führen, dass Importeure für ihre direkten Kohlenstoffemissionen genauso viel zahlen müssen wie inländische Hersteller. Dies wird jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen, und noch länger wird es dauern, bis andere Länder die gleiche Maßnahme durchsetzen. Kritisch ist, dass selbst dann die indirekten Emissionen, die oft weitaus größer sind als die direkten Emissionen, nicht erfasst werden.

 

Das Gespräch führte Bernhard Fragner.

Erleben Sie Ross Strachan beim

ALUMINIUM Business Summit 2021
28.­–29. September 2021
Altes Stahlwerk Düsseldorf

Weitere Informationen und Programm